Bernard Lietaer empfiehlt Komplementärwährungen als Lösung für die aktuelle Finanzkrise und weitere globale Probleme
Es ist seltsam – auf irgendeine Art genießen wir es wohl, dass diese aktuelle Krise aber nun wirklich etwas ganz besonderes ist, etwas wirklich überraschendes, unvorhergesehenes. Das gibt uns vielleicht etwas von der Bedeutung, die wir in unserem Alltag gar zu selten spüren: Teil von etwas Großem zu sein, selbst wenn es zerstörerisch ist, verschafft uns wenigstens ein bißchen Thrill im sich immer schneller drehenden Hamsterrad unseres erschöpfenden Lebens.
Da ist es fast wie Spielverderberei, wenn Bernard Lietaer – Wirtschaftsquerdenker, ehemaliger Zentralbanker, Buchautor und heute weltweit unterwegs als Gestalter neuer Währungen – nüchtern sagt: Das konnten wir doch wissen, dass es so kommt. Das habe ich schon vor zehn Jahren geschrieben.
Eins zu eins trägt er aus einem seiner Bücher von 1999 die vier großen Problemfelder vor, die uns heute beuteln: Die demografische Alterungswelle, der Klimawandel mit dem damit einhergehenden Artensterben, die technologische Entwicklung, in der erstmals Wirtschaftswachstum von Arbeitsplätzen abgekoppelt wird, und die Finanzkrise.
Lietaers Gedanken zum „Geld für die Zukunft“, vorgetragen Anfang 2009 auf einer Kasseler Tagung und nun zugänglich dank einer DVD der Hamburger „edition zeitnah“, sind Gemeingut und Gänsehautstoff zugleich. Die erzählerische, fast unterhaltsame Präsentation lässt einen hin und wieder fast überhören, welche dramatischen Wahrheiten und Szenarien der verschmitzte belgische Money-Man da vor uns ausbreitet: Dass wir zwischen heute und 2020 unser Bewusstsein als Voraussetzung für anderes Handeln so stark verändern müssen wie in den letzten 5.000 Jahren nicht. Dass nur ein echter Durchbruch zu völlig neuen, noch nicht gedachten Lösungen uns hilft, nachhaltige Antworten auf die vier großen Herausforderungen zu finden. Und dass wir es gleich lassen können, wenn es uns nicht gelingt, den Anstieg der Erdtemperatur um 2 Grad Celsius zu beschränken – „dann löst sich das ganze Problem sowieso von alleine“, unkt Lietaer.
Durch eine immense Faktenfülle hindurch schreitet er gedanklich konsequent auf die Lösungen zu, die er für alle vier Probleme in der Tasche hat – Antworten auf die Frag
- Wie werden wir die steigende Zahl der Älteren mit genügend Geld versorgen?
- Wie lösen wir die Spannung zwischen kurzfristigen Finanzinteressen und dem für ökologische Nachhaltigkeit nötigen langfristigen Denken?
- Wie ist das Überleben der Menschen bei steigender Arbeitslosigkeit zu sichern?
- Wie gehen wir mit der aktuellen Finanzkrise um?
Bevor er mit charmanter Leichtigkeit die in jahrzehntelangem Engagement hart erarbeiteten Antworten aus der Tasche zaubert, präsentiert uns der Währungshändler noch den Beweis aus der Komplexitätsforschung, der belegt, dass unser (Finanz-)System strukturell instabil ist. Ein anrührender Moment im Film, weil hier die Erleichterung, fast Dankbarkeit Lietaers für diese Erklärung durchscheint. Er beruft sich dabei auf Robert Ulanovicz, einen amerikanischen Ökologie-Professor und Philosophen. Der hat den so dringend nötigen gedanklichen Durchbruch geschafft, sagt Lietaer – indem er zwei Faktoren ökologischer Systeme herausgefiltert hat, mit deren Verhältnis zueinander Nachhaltigkeit nun endlich berechnet, gemessen werden kann: Er setzt die beiden Faktoren Flexibilität/Vielfalt und Effizienz/Optimierung zu einander in Beziehung und entdeckt einen optimalen Bereich des Verhältnisses dieser beiden Steuerungskräfte, in dem das Gesamtsystem in Balance ist. Was das Geldsystem angeht, haben wir stets Druck in Richtung Effektivität ausgeübt. Doch die steigende Optimierung geht auf Kosten der Vielfalt, der Elastizität – und das System kippt.
Dieses Bild bietet auch gleich die Lösung für die so nachvollziehbare Finanzkrise: Wenn mangelnde Vielfalt zum Problem wird, brauchen wir als Gegengewicht – mehr Währungen! Hier ist Lietaer natürlich vollends in seinem Element und beglückt uns Schlag auf Schlag mit den Antworten auf die herausfordernden Menschheitsfragen:
Die Lösung für die alternden Gesellschaften ist das Modell der japanischen Gesundheitswährung Fureai Kippu; den Ausgleich zwischen kurzfristigen Finanzinteressen und den Interessen der ökologischen Nachhaltigkeit schafft die Referenzwährung TERRA mit ihrer Negativ-Verzinsung; die Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen lassen sich durch Business-to-Business-Währungen nach dem Schweizer WIR-Modell oder mit Zeitwährungen á la TimeDollar auffangen.
Wenn die europäischen Regierungen sich vernetzen und diese sozialen Währungen von Steuern befreien würden, wäre das eine Unterstützung für solche Experimente, die sie nicht viel kostet. Das ist der nächste Schritt, sagt Lietaer.
Und was wird aus den Banken? Die haben keine Zukunft, lächelt der Geldpsychologe sanft: „Die Zukunft des Finanzsystems liegt hier“ – und er hält sein Mobiltelefon in die Kamera.
Die 50 Filmminuten mit diesem komplexen Themenstoff vergehen wie im Flug – bildhaft, lebendig, anschaulich können hier auch die, die Geld bisher nur aus ihrem Portemonnaie kennen, die wundersame Welt der Währungen entdecken und die aktuelle Finanzkrise verstehen. (Großer Vorteil der silbernen Filmscheibe, die für 17 Euro 85 über www.edition-zeitnah.de zu beziehen ist: Man kann sie natürlich auch mehrmals ansehen! Gemeinsam mit Freunden als Gesprächsgrundlage sehr zu empfehlen.)
Der Humor, mit dem Bernard Lietaer die Schärfe seiner Gedanken warm einpackt, ist vermutlich das einzig wahre Mittel gegen Zynismus und Verzweiflung. Nein – es gibt mindestens noch eins: Aktiv werden. Und wer Weihnachten nicht nur auf Wellness setzt, sollte diese DVD verschenken. Das ist ein echter Beitrag zum Frieden.
Und… ab März 2010 wird in Leibzig durch Beschluss des Stadtrats – in enger Kooperation mit der Sparkasse, der Leibziger Wohnungsbaugesellschaften, verschiedenen Bürgervereinen, der IHK, Dehoga und der Handwerkskammer eine offizielle Komplementärwährung „WIR“ eingeführt. Die Stadt Leibzig hat Schulden in Höhe von 723 Millionen Euro, Tendenz steigend! Was nun kommt versteht man aus Sicht der Stadt unter „Daseinsfürsorge“.
Copyright: Zukunftspioniere / Kathleen Battke