Zuhause im Lernen. Welche Bildung braucht die Zeit?
Bildung war, als Wilhelm von Humboldt noch darüber sprach, ein umfassender, ganzheitlicher Prozess der Persönlichkeitsentfaltung (als der Begriff im christlichen Kontext entstand – er wird Meister Eckhart zugeschrieben –, meinte er das Gebildet-Werden durch Gott; heute würden wir möglicherweise sagen: die schrittweise Offenbarung des göttlichen Kerns in uns).
Ich ergänze, aufbauend auf diesen Teil der Begriffswurzel, die Vision des Lernens für unsere Zeit:
Bildung fördert die prozesshafte Entfaltung der integralen PERSON (in Großbuchstaben als Hinweis darauf, dass hier nicht primär die Stärkung des Ego gemeint ist, sondern die Befreiung des höheren Selbst) hin zu verantwortungsbewusstem Handeln in der einen, verletzlich gewordenen Welt. Das – und die Dynamik des Wandels – lässt sich nicht mehr vereinbaren mit starren Lernvorgaben. Wir sind im post-curricularen Zeitalter angekommen.
Ressourcenerschöpfung und Klimagefährdung, Reizüberflutung und Brunnenvergiftung nehmen uns in die Verantwortung. Damit wir sie nicht nur tragen, sondern auch kreativ ausgestalten können, sind wir als Spezies mit der Fähigkeit ausgestattet, neue „Wahrnehmungsorgane“ auszubilden, die auf sich wandelnde Situationen angemessenen reagieren können. So formulierte J.W. Goethe es in seinen naturwissenschaftlichen Schriften, und fügte hinzu: Wir Menschen können das, wenn wir nur genau und unvoreingenommen hinschauen und zu begreifen bereit sind, was wir sehen.
Diesen Übungsweg: unsere vorhandenen Wahrnehmungssinne von Schlacken zu reinigen, sie zu entgiften und zu schulen und sie im Handeln so zu transformieren, dass wir mit ihnen als qualitativ neue „Sinnesorgane“ die Notwendigkeiten und Chancen des aktuellen Zeitalters erkennen und darauf lebensfördernd reagieren können – das nenne ich Bildung.