Theorie U in einem Satz: Wie kann ich den Ort, von dem aus ich handle, verändern? … (und: Warum sollte ich das wollen?)
Was sagt Kurt Lewin dazu – einer von Otto Scharmers geistigen Mentoren am MIT: Man kann ein System nicht verstehen, solange man nicht versucht es zu verändern. – Das ist kraftvolles System Denken. Eine Disziplin von lernfähigen Organisationen. Immer versuchen, das ganze System – wenigstens durch Repräsentanten – in den Raum zu holen, um mit sinnvollen Interventionen größmögliche Wirkung zu erzielen. – Logisch, denken Sie.
Als das erste Buch über Theorie U 2009 auf deutsch im Carl-Auer Verlag erschien, schrieb Otto Scharmer im Vorwort: Mit dieser Übersetzung ins Deutsche kehrt Theory U „nach Hause“ zurück. – Damit gemeint war – meiner Lesart nach – ein tiefes Verständnis von wissenschaftlicher systemtheoretischer Forschung im 20.Jahrhundert, das ohne phänomenlogische, epistemiologische und ontologische Quellenstudien deutscher Philosophen wie Husserl, Heidegger, Nietzsche und Wittgenstein nicht möglich ist. Scharmer nannte es den Feldgang.
Selbstverständlich waren wir von der Zukunftspioniere GbR beim ersten Global Classroom 2008 des Presencing Institute dabei, und natürlich hatten wir in der Folge Arbeitsgruppen in Köln und Hamburg – zum Teil über Jahre – mit Unternehmensberatern, Coaches und Mediatoren, um den Theorie U Ansatz von innen heraus zu erkunden, um Selbsvergewisserung und Erfahrungsaustausch zu betreiben, um herauszufinden: was ist daran wirklich NEU – was taugt es in der Praxis wirklich, können wir damit arbeiten…. –
2014 legt Otto Scharmer zusammen mit Katrin Käufer einen neuen Theorie U-Aufschlag hin. Untertitel: Von der Egosystem- zur Ökosystem-Wirtschaft. Theorie U in der Praxis. – Diesmal mit einem Vorwort von Götz W. Werner, dem Gründer von dm. ( Erschienen im Carl-Auer Verlag, 2014, 44.- € ):
the blind spot of leadership
Die Zukunft ist in Wahrheit die Ursache. – So könnte ich meine Buch-Rezension auf den Punkt bringen. ( Ich setze in meiner Rezension voraus, dass unsere Blog-Leser Theory U im Ansatz kennen.) In die Zukunft wollen – und müssen – alle hin und wissen oft nicht wie, womit und auf welche Weise. Downloading ist downloading. blind spot ist blind spot ist blind spot. – Rationale Analyse als alleinige Focussierung hilft nicht wirklich weiter. – Haben wir alles schon hundertmal gesagt und gehört.
Was hilft denn dann: …das Urteilen innehalten, Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit nach innen richten, die Vergangenheit loslassen und in die so entstehende Zukunft hineinlehnen. Alles klar? (Anm.: haben Sie auch nur ungefähr eine Ahnung oder Vorstellung davon, wie schwer das ist…? – Könnte ein Grund dafür sein, warum es so selten geschieht. Geht nur mit Üben, Üben, Üben!)-
Stattdessen überall Symptom-Bekämpfung und systemische Entkoppelungen. Du sollst eben nichts merken und schon gar keine Zusammenhänge sehen, lieber Konsument. Positive Externalitäten fließen nach oben, negative nach unten. Heißt z.B.: Steuerzahler retten die Banken und bekommen dafür die Schulden gut geschrieben. Produktionskosten verschleiern die Umweltsünden etc. etc.. Geld fließ also in die falsche Richtung. Heißt z.B.: kleinere Start ups oder exzellente Entrepreneuship Ideen bekommen von Banken keine Kredite wegen fehlender Sicherheiten ( …das ich solche Sätze überhaupt noch schreibe…) Gottseidank gibt es für sie alle mittlerweile Crowdfunding Plattformen als Alternative.
Das sind die Mentalen Modelle mit ihren Glaubenssätzen, die wie Mantren täglich wiederholt werden, damit sie festsitzen. Nochmal: blind spot ist blind spot. – Auch in diesem neuen Buch von Otto Scharmer nimmt diese Analyse viel Raum ein ( genau 180 S.)
Die ökonomische Matrix, incl. aller unausgeschöpften Potentiale, wird bei Scharmer definiert aus Natur, Arbeit, Kapital, Technik, Führung, Konsum, Koordination und Besitz. Es ist ebenfalls logisch, dass dabei die Entwicklung des Bewusstseins zu kurz kommt. Aber das ist nicht erst seit Gestern so, sondern seit Jahrhunderten. Lediglich manche Künstler, Intellektuelle, Freigeister und finanziell Unabhängige bilden da eine Ausnahme. – Das sind die Menschen, die die Hoffnung repräsentieren. Sie entwickeln Konzepte wie: sharing is caring, slow-food-bewegung, community supported agriculture, genossenschaften, local living economies, cradle to cradle etc. etc..
Wir sind also unterwegs vom ICH zum WIR. ( Sind wir das global wirklich? ) Die Schlussfolgerungen mit den zwölf Prinzipien auf S. 199 finde ich erwähnenswert: Nicht predigen, sondern handeln – Beobachte, beobachte, beobachte – Verbinde dich mit deiner Intuition – Wenn sich der Spalt zur Zukunft öffnet, verbinde dich damit und handle aus dem Jetzt – Folge deinem Herzen und tue was du liebst – Bleibe immer in einem Dialog mit dem Universum – Schaffe einen Raum des schöpferischen Zuhörens, der dich stärkt – Wiederholen, wiederholen, wiederholen – Sei präsent, wenn das Feld sich öffnet – Wähle die richtige Sprache – Wenn du andere verändern willst, muss du der erste sein – Gib nicht auf.Niemals. Du bist nicht allein – …
Presencing
Drei Hindernisse dabei: Verleugnung, Zynismus und Depression. Diese drei Schwergewichte handelt Scharmer auf ein paar Seiten ab. Das man Selbstreflexion und eine exzellente Gesprächsführung braucht, um damit umzugehen, die Schattenwelten anzusehen…hallo? Jahrhundertealte soziale Kulturpraktiken wie Council oder Mediation finde ich nicht im Text oder im Index. Meditation im Zusammenhang mit MBSR wird als Achtsamkeitsbasierte Belastungsreduktion wenigsten erwähnt.Dabei haben diese Techniken die inhärente Kraft, die Welt dramatisch zum Besseren zu verändern – wenn sie zum Einsatz kommen dürfen. – Bei all diesen uralten Kulturtechniken geht es immer im wesentlichen darum, die Qualität der eigenen Wahrnehmungen und die damit verbundenen Urteile zu be- bzw. zu hinterfragen. Nur so kommen wir dem Funktionieren unseres eigenen Geistes auf die Spur. Und das ist Presencing, das ist damit gemeint. ( Anm.: Mir ist klar, dass dies hier eine sehr verkürzte Darstellung ist.)- Wie schält man die Zwiebel – was ist ihr Kern?
Gespräche erschaffen die Welt ( S. 207 f. ) – dafür braucht man Selbstreflexion und – ganz wichtig, Stift raus, mitschreiben: KONZENTRATION. ( Die jüngere Generation fährt mittlerweile durch die Stadt, hinten am Fahrrad den Kinderbuggy mit dem Nachwuchs drin und hat das Handy am Ohr mit leicht gekippter Kopfhaltung…Konzentration?…kein Problem. Alles Multitasker.)
Dann kommt`s: Co-kreative Ökosystem-Innovation (Level 4, multilateral), ist in jedem LAB die Grundhaltung – siehe Design Thinking – aber Achtung Problem: das toxische Kommunikationsverhaltern auf Level 1 ( gemeint ist Korruption / soft money / Propaganda / vorsetzliche Täuschung uvm.)
Frage: wie kann ich auf Level 4 sein, wenn Level 3 – sich mit den Augen der Anderen sehen z.B. – bei vielen Entscheidern garantiert noch nicht funktioniert? ( Zur Erinnerung: blind spot ist blind spot ist blind spot…)
Was kann man da tun? ( Vorschlag: eine Zeitlang in Stille sitzen und in eine Haltung des Nicht-Wissens kommen – das wäre ein Anfang – und ein super Beginn für viele Meetings. Es sollen ja angeblich immer mehr werden, die das nicht gruselig esoterisch finden.)
!Die Klimadiskussion und der internationale Austausch über die unterschiedliche Auslegung und Interpretation der Fakten wird – bewusst herbeigeführt oder „überraschend auftauchend“ für uns alle den fühlbaren Unterschied machen. Ganz sicher. Sharmer hat in der gemeinsamen Arbeit mit dem ELIAS-Projekt ( Emerging Leaders Innovate across Sectors) dazu einiges gelernt:
- das Projekt entstand aus tiefster Frustration, die in den Presencing Plattformen weltweit spürbar war
- Multistakeholder wollen Probleme direkt lösen – was oft leider die Probleme vergrößert, da die Sicht zu kurz greift und dadurch die schöpferische Kreativität begrenzt wird
- Energie folgt immer dem Fokus der Aufmerksamkeit
- persönliche und individuelle Fähigkeiten werden überbewertet- die inspirierte Flamme des interdisziplinaren Netzwerks oder Teams wird über die Lösungen der Zukunft entscheiden ( was ganz sicher für Design Thinking Ansätze spricht )
- Lösungsprozesse dieser Art brauchen besonderen Schutz und große Freiräume ( speziellen Fokus auf Menschen, Orte, Zwecke und Leidenschaft in Verantwortung. (Ganz wichtig!)
- Jede Bruchstellen-Analyse erfordert idealerweise die Entlastung kreativer Menschen vom Alltagsgeschäft. Mehrbelastung – also noch mehr Multitasking – ist kontraproduktiv. Aufwertung dieser Prozesse ist das Zukunftsgebot der Stunde.
Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung, was daran neu sein soll. Okay, noch mehr Evidenz, noch mehr weltweite Forschungsbelege. Mehr Empathie in die Ökonomie…selbstverständlich. (Lesen Sie das Buch “ Mitgefühl in der Wirtschaft“ – ein bahnbrechender Forschungsbericht von Tania Singer / Matthieu Ricard). – Regierung und Demokratie 4.0: direkt, distribuiert, digital und dialogisch – Ziel der globalen Transformation? Warum nicht.
Ich arbeite seit Jahren in unterschiedlichsten Kontexten mit der Methode des systemischen Konsensierens für Entscheidungsfragen und auch in Konfliktsituationen, wenn das mediative Setting nicht passt. Funktioniert – mit erstaunlichen Ergebnissen. Und diese gemeinsame Prozess-Erfahrung verändert die Haltung – den blind spot. Darum geht es doch hier, oder nicht?
Wenn das als Grundlage funktioniert, dann können wir alles neu erfinden, wirklich alles. Warum? Weil die Menschen dabei lernen müssen, werden und irgendwann auch wollen… dem anderen wirklich wirklich zuzuhören, weil sie die Erfahrung machen dürfen, dass kurzfristige egoistische Bedürfnisse und Interessen sich im Konsens nicht durchsetzen, Intrigen und manipulative Mehrheitsbildungen ohne vernünftige und emotionale Argumente – Herz-Intelligenz – keine Chance auf eine Zukunft haben. Eigentlich ganz leicht, wenn man in der Haltung angekommen ist.
Otto Scharmers Schlussfolgerung: Welche Strategien können dazu beitragen, dass wir als Intrument für eine im Entstehen begriffene Zukunft wirken? Genau diese, die ich eben beschrieben habe. Fangen Sie an!