Brockhoff_Menschlichkeit_23.03.2016.inddWarum Wertschätzung über den Erfolg von Unternehmen entscheidet.

So lautet der Untertitel des Buchs Menschlichkeit rechnet sich von Stephan Brockhoff und Klaus Panreck, das 2016 im Campus Verlag erschienen ist. –

Die Rezension ist eine Art inneres Gespräch zwischen mir und dem Buch:

Menschlichkeit und Rendite – wie passt das zusammen?

Kann man den Return on Investment von Menschlichkeit errechnen – klingt das nicht einfach nach Kalkül, ist die Frage nicht völlig irre?

Und das in einer Zeit, in der ein Mensch wie Donald Trump, ein Milliardär mit zweifelhaftem Ruf, für andere  ruinösen Spekulationsgeschäften und mit Manieren unterhalb der Gürtellinie, Präsident in den USA werden konnte. Und wir alle haben durch Zuschauen Zeugnis davon abgelegt, dass dieser Wahlkampf mit Sicherheit keinen Beitrag zur weltweiten Menschlichkeit geleistet hat. Oder vielleicht doch?

In seinem Geleitwort zum Buch schreibt Hermann Scherer: …“gleichzeitig erleben wir angesichts vieler Krisen und vieler außergewöhnlicher Ereignisse eine geradezu überwältigende Hilflosigkeit auf allen Ebenen…Wie sollen wir das schaffen? Und mit welchen Werkzeugen?“

Ja was fehlt denn?… Kommt der Frageruf von weit weg oder ist es bereits ein Brüllen ins Ohr? Spüren Sie mal mit Ihren drei Gehirnen in sich hinein: Kopf, Herz und Bauch. Welche Stimme hören Sie als Erste?…

Das Bucht macht klar: Es geht um die Qualität von Beziehungen auf allen Ebenen

Immer schneller, immer mehr, immer billiger, aggressiver Preiskampf, Geiz ist geil, mehr Excellenz und Brillianz von Highperformern, Selektion, Optimierung, Konkurrenz, richtige Positionierung, maximaler Shareholder Value, Zerstörung von Umwelt, Vernichtung von Ressourcen und menschlichem Leben in der Konsequenz – oft ohne klare Verantwortung, über 60 Prozent aller Mitarbeiter in deutschen Unternehmen sind im Dauerzustand der inneren Kündigung, Stress, psysische Erkankungen und Burn out auf dem Vormarsch, u.s.w. u.s.f.

Wo bleibt unter solchen Bedingungen die Wahl-Freiheit der Entscheidung in konkreten Situationen, in denen sich ein kleiner Spalt öffnet, den Sie, ja Sie, mit der Präsenz Ihrer Persönlichkeit füllen, um für Ihre Werte einzustehen?

Selbstverständlich hat Viktor E. Frankl in seiner Logotherapie das Reiz-Reaktions-Schema herausgearbeitet. Er hatte die Erfahrung des KZs in seinen Genen und er wußte – um Nietzsche zu zitieren – dass wer ein WARUM hat, erträgt jedes WIE.

Und dieses WARUM ist genau der Punkt. Warum sollten Menschen sich jeden Tag diesen oben kurz erwähnten Spielchen aussetzen, wenn der Preis ein abnehmender positiver Selbstwert und in den Hierachien null bis kaum Wertschätzung für die eigene Person und ihre Leistung vorzufinden ist…

Jedes Unternehmen, jede Organisation, die schon mal eine bedrohlichen Krise durchgemacht hat und auf die Solidarität der Mitarbeiter angewiesen war, hat den menschlichen Preis, die Belastbarkeitsgrenze des WARUM kennengelernt. Das ist die Stunde der Wahrheit und der Prüfstein für Ehrlichkeit, Offenheit, Transparenz, Vertrauen. Arroganz des Managements wird meistens abgestraft – aber was die Menschen wirklich verzweifeln läßt ist, wenn diese Arroganz dann auch noch ohne persönliche Konsequenzen davon kommt.

Aber gegen diese Zuckerbrot und Peitsche Mentalitäten gibt es mittlerweile mächtige Gegenkräfte. Sie kommen aus der Generation Y, die auf diese Arten der Beschäftigung – auch dank ihrer Qualifikationen – keinen Wert mehr legen, sie kommen aus der kreativen Ökonomie, die neue Entrepreneurship-Modelle in die Welt bringt, die Ethik und Nachhaltigkeit als Herzensprojekte sieht, sie kommen aus der Gemeinwohlökonomie-Bewegung, die wirklich nachhaltige und gemeinwohlorientierte Unternehmens-Bilanzierungen voranbringt, aus Service-Innovationen, aus Genossenschaftsmodellen, die systemisch konsequent alle Lieferketten in ihr TQM integrieren, aus Unternehmenskulturen, die sich glasklar nach den Bedürfnissen und Interessen ihrer Mitarbeiter ausrichten, das heißt agil vernetzte Projekt-Steuerung, aus neuen WIN-WIN Formen der Mediation und Verhandlungsführung, aus MBSR und Compassion-Trainings in Unternehmen, aus Stärken und Talent orientierten Teamzusammensetzungen, aus der Verabschiedung einer NULL-Fehlerkultur zugunsten eines freudigeren und schnelleren Scheiterns – aber mit eingebauten Lern- und Feedbackschleifen, um es beim nächsten Mal besser zu machen, aus der Erkenntnis über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer Resilienz-Prävention, aus den Trainings in Gewaltfreier Kommunikation, aus der wertschätzenden Haltung, dass der Kunde König ist, und freundlicherweise über den Preis die Rechnungen und Gehälter bezahlt…u.s.w. u.s.f.

Führung neu denken, Leadership neu denken

Neu denken allein wird nicht reichen, wenn das Herz sich nicht mitentwickelt. Potentiale wollen sich entfalten. Dafür braucht es Ermöglichungsräume. Wenn Sie die richtigen Mitarbeiter eingestellt haben, könnte ich sagen: der „Chef“ der Zukunft arbeitet nicht im Unternehmen sondern am Unternehmen. Loslassen ist angesagt – besonders das EGO – die Oberkontrollinstanz. Und auf dieser Baustelle wird für die nächsten Jahrzehnte Vollbeschäftigung nötig sein. – Menschen wollen SINN in ihrem TUN erkennen – nur dann macht Arbeit Freude. Wissen Sie warum die durchschnittliche „Verweildauer“ in einem Pflegeberuf nur 3-5 Jahre beträgt: weil die Menschen es nicht ertragen, dass die Strukturen, die Arbeitsbedingungen sie daran hindern, ihre perönlichsten Werte in die Pflege einzubringen. Ist das gewollt…oder einfach nur Unfähigkeit im Amt? Das ist auch eine Erklärung für den Fachkräftemangel. Man braucht immer wieder frisches Blut, weil der Verschleiß so hoch ist – statt die Bedingungen zu ändern.

Wie errechnet sich die Menschlichkeit?

Setzen Sie sich bitte hin, nehmen ein Blatt Papier ( kein Laptop ) und errechnen Sie nur mal die Kosten für Fluktuation…oder für ungelöste Konflikte, oder von übertriebener Kontrolle und die Auswirkungen auf das Betriebsklima, oder innerer Kündigung statt freudige Effizienz, von Krankenständen statt hohem Engagement, von Angst statt Kreativität, von isolierten Wesen statt guten Beziehungen, von Horror-Arbeitgeber statt Good Place to Work im Ranking zu sein, u.s.w.u.s.f.. – Die Kennzahlen dafür haben Sie ja. ( Wir reden hier über Milliardenbeträge, die den Unternehmen jährlich verloren gehen – wieviel „Verlust“ davon gehört Ihnen?)

ROI = Gewinnanteil : Kapitaleinsatz ( ROI= Return on Investment )

Wie kann man Zufriedenheit in Euros ausrechen?  Auf der Website www.personalbilanz.de finden Sie Informationen, wie sich das Wertschöpfungspotential im Personalbereich eines Unternehmens errechnen lässt. Und gemessen wird immer die Veränderung auf der Faktenseite (Hard Facts) und auf der Seite der immateriellen Werte ( Soft Facts). Und natürlich kann es – je nach Investition – zu Zeitverschiebungen kommen. ( Konkrete Beispiele dazu im Buch selbst ab Seite 144ff. Da die Autoren Steuerberater sind, haben sie entsprechende Formeln zu bieten.)

Die Menschlichkeitsbilanz

Inspiriert durch die Wissensbilanz Made in Germany – unterstützt vom Bundeswirtschaftsministerium und dem Fraunhofer Institut – soll das intellektuelle Kapital eines Unternehmens erfasst und gezielt gefördert werden.

Die Autoren haben aus dieser Grundlage ihre Menschlichkeitsbilanz – also das menschliche Vermögen eines Unternehmens – erarbeitet. Sie besteht aus 7 Schritten:

  1. Entwicklung eines gemeinsamen Leitbilds, Verständigung auf gemeinsame Werte
  2. Soll-Zustand definieren ( Wie sollen die Werte im Alltag auf allen Ebenen umgesetzt werden?)
  3. Ist-Zustand erheben
  4. Sammlung von Maßnahmen, Identifikation von Stellschrauben, Wikungszusammenhängen und Indikatoren
  5. Messen und Auswerten der Ergebnisse
  6. Erstellung der Menschlichkeitsbilanz
  7. Kontinuierliches Messen und Anpassen der Maßnahmen

Der Auftakt dafür ist immer eine Kick-off Veranstaltung mit den relevanten Entscheidern des TOP Managements. Die Ergebnisse sind dann Nahrung für die interne Kommunikation des Unternehmens – können aber auch die Grundlage für eine strategische Neuausrichtung sein.

Aber definitiv ist es eine Top Down Entscheidung damit zu beginnen – und die Vertreter müssen wahrscheinlich zuerst in ein Vier oder Sechs Augen Coaching finden.- Schwierig genug, wenn ich als Coach über die Coachingbereitschaft an der einsamen Spitze denke. Mancher hinderlicher Glaubenssatz, der bisher Sicherheit und Gefängnis zugleich ist, wartet auf gefühlvolle Auflösung in geschützter Atmosphäre eines Coaching-Settings. Entwickelte Entlastungs-Routinen stehen auch im Weg.

Als Coach und Mediator weiß ich um die Notwendigkeit eines langfristigen Commitments in der Beziehungsarbeit. Dafür sollte die Compliance stimmen, die Chemie, sonst kann kein belastbares Vertrauen, das zur Transformation führt, aufgebaut werden. Das entscheidet sich aber meistens direkt im Vorgespräch. Die genaue Passung ist oft ein Sekundenphänomen.

Solch eine zutiefst menschliche Vision zu entwickeln, wie die Autoren in ihrem Buch vorschlagen, erfordert, weil die klassischen Methoden ausgereizt sind, Mut und Verzweiflung. Oft beides.

Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit sollte dem Gemeinwohl dienen – Sie können auch sagen, die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen glücklich zu machen. Wir Zukunftspioniere wollen genau DAS. Dafür arbeiten wir. Tun Sie das auch.

Lese-Empfehlung: Menschlichkeit rechnet sich ist ein mutiges Buch zur rechten Zeit. Einige Erkenntnisse und vorgeschlagene Methoden im Buch sind natürlich nicht ganz neu – denken Sie an Werke von Schulz von Thun zur Kommunikation, die Logotherapie von Viktor Frankl, Peter Senge Ende 90 Die Fünfte Diziplin, die Theory U von Otto Scharmer 2009, die den Prozess-Schwerpunkt auf Werte- und Bewusstseins-Entwicklung legten, um das Neue in die Welt zu bringen. – Aber der Ansatz der Implementierung einer Menschlichkeitsbilanz, die organisch aus der Unternehmensstruktur herausmoderiert wird, ist sicherlich ein guter Ansatz – gerade auch für Zahlenmenschen in Unternehmen. ( Anm.: Einiges, was in dieser Rezension erwähnt ist, steht so nicht im Buch. Wir forschen seit über 20 Jahren an diesem Thema. Und es ist so wichtig, dass jedes Weiterdenken erwünscht ist.)

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P.S.: Was können wir lernen aus der Wahl in Amerika? Das war ja meine Frage oben zu Beginn: Falsche Person – aber wichtiger Informationswert. No one left behind – so hieß es vollmundig Jahrzehnte lang in Wahlkämpfen. Bei diesem war alles anders. 30 Prozent sind zur Wahl gegangen, die das bisher NIE getan haben. Sie nutzten ihre letzte Chance der (politischen) Willensbildung, die ihnen geblieben ist: die Wahlurne.- Echo-Chamber nennt man das Phänomen, wenn man nur mit Seinesgleichen spricht und verkehrt. Nun kam die Gelegenheit sich dafür zu rächen: Donald Trump. Viel jüngere Wähler waren sehr verärgert, dass sie überhaupt in der Situation waren, zwischen Pest und Cholera wählen zu müssen. Der Informationswert für die Welt: das Potential der Menschlichkeit nicht zu entwickeln, jede Chance auf Partizipation zu unterdrücken, sind disruptive Kräfte des Untergrunds. Es ist Verantwortungslos das zu ignorieren. Die Schock-Welle des Erwachens rollt.