Nach einer Woche auf dem wahrscheinlich größten Friedhof der Welt (ja, hier sind binnen fünf Jahren zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen ermordet worden – wir wissen das aus Geschichtsbüchern, aber jeder, der einmal selbst dort war, kann bestätigen, wie anders sich dieses Wissen am Ort des Geschehens anfühlt) zerfallen viele der Sorgen und Bedenken, die meine Tage allzu oft füllen, buchstäblich zu Asche. Es ist nicht leicht, sich der Ungeheuerlichkeit dieser Tötungsmaschinerie auszusetzen, die in deren gewaltiger Dimension gekoppelt an Alltäglichkeit, Banalität und Bürokratie besteht. Und noch viel weniger leicht ist es für viele von uns, in die Versöhnungs- und Heilungsarbeit, zu der die Veranstalter dieser Retreat-Woche eingeladen hatten, auch die Täter einzubeziehen.
Was wissen wir denn über das Böse in uns? fragen sie; wer von uns kennt bis in alle Winkel seine Schatten, die unter bestimmten äußeren Umständen oder inneren Zuständen das Licht unserer kontrollierten, beherrschten Persönlichkeit verdunkeln? Nur wer diesen unangenehmen eigenen Anteilen furchtlos ins Gesicht zu sehen wagt, kann sich wirksam gegen das Böse wappnen, war eine der Botschaften dieser Woche in Auschwitz.
Darüber hinaus erweisen sich alle Versuche, das dort Geschehene mit Vernunft und Erklärungskonzepten zu bewältigen, als kläglich scheiternd.
Nicht-Wissen, sagt Bernie Glassman als einer der Initiatoren dieses Friedenscamps, ist eine angemessenere Haltung: Ablegen, was man zu wissen glaubt, und – einfach zuhören. Still sein, dem Ort lauschen. Unwillkürlich neigt sich leicht der Kopf, die Ohren werden wach und der Schritt langsamer. Von diesem leeren Raum aus lässt sich
Zeugnis ablegen vom Leid, das hier fast noch immer greifbar ist: Nicht die Augen schließen; nicht nach einer Stunde wieder in den Bus zur nächsten Sehenswürdigkeit und vorher noch schnell einen Schokoriegel; nicht abschweifen – da bleiben, bezeugen, die Namen der Toten nennen. Diese Standhaftigkeit öffnet die Tür zu unseren inneren Kräften, und die über 100 Teilnehmenden konnten staunend Zeugnis ablegen von einander und von dem, was bei jedem zum Vorschein kam.
Aktiv werden aus Mitgefühl und Verbundenheit ist eine natürliche Reaktion nach einem solchen Reinigungsprozess.
Die Kostbarkeit einer uralten Menschheitstradition des tiefen Austausches haben wir jeden Tag erlebt: Das Council, aus dem archetypischen Kreis ums Lagerfeuer entwickelte Gesprächsform, betont das Sprechen und Zuhören von Herzen, hat uns das Mit-Teilen des Erlebten erleichtert und binnen fünf Tagen tiefe Verbindungen geschaffen.
Eine erste Folge aus diesem vielschichtigen Erlebnis: Unsere Einladung, in erfrischenden Council-Runden – die die Veranstalter auch Sprech- und Zuhör-Meditation nennen – in tiefen Kontakt zu kommen (mit sich selbst und den anderen im Kreis) und Unterstützung zu erfahren. Was hilft mehr in diesen zersplitterten Zeiten?