Vom Kindergärtner zum globalen Kämpfer gegen Atomwaffen
Alternativer Nobelpreis für den neuseeländischen Friedensaktivisten Alyn Ware
Was würden Sie sagen, wenn Sie im Fernsehen plötzlich den Kindergärtner Ihres Kleinen neben dem Generalsekretär der Vereinten Nationen sehen würden? Und hören, wie sie sich gemeinsam gegen Atomwaffen aussprechen?
Manchen Eltern aus Neuseeland dürfte es in diesen Tagen genau so gehen. Am 4. Dezember bekommt der Pädagoge und Friedensaktivist Alyn Ware den ‚Alternativen Nobelpreis’ zugesprochen. Ein schönes Beispiel dafür, wie die Arbeit an den Graswurzeln der Gesellschaft irgendwann ganz oben Wirkung zeigen kann.
Wenn man den großen, schlaksigen Mann sieht, kann man sich immer noch vorstellen, wie er – auf jedem Arm einen Dreijährigen – den Kindern auf dem Spielplatz kooperative Spiele zeigt, bei denen niemand verliert und alle gewinnen. Zwar betreut der Pädagoge mittlerweile eine ganz andere Klientel, doch die Themen sind eigentlich die gleichen geblieben: „Frieden besteht in der Fähigkeit, unsere Konflikt friedlich so zu lösen, dass jeder bei der Lösung gewinnt“, sagt Alyn Ware und erklärt weiter: „Das heißt, dass man sich weder aufgibt, unterwirft oder einer anderen Person Macht über sich gibt, noch, dass man seine Bedürfnisse über alles stellt und damit jemand anderem seine Bedürfnisse verwehrt. Stattdessen versucht man Lösungen für Probleme zu finden, mit denen beide Parteien glücklich sind.“ Was der Friedenspädagoge in seinen Jahren als Kindergärtner gelernt hat, ist für ihn allzu oft auch in den hohen Sphären der Politik relevant. „Vielleicht streiten sich zwei Kinder um ein Spielzeug. Dann kann man es nicht einfach nur einem überlassen, das wäre unfair. Man muss nach Wegen suchen, damit beide etwas davon haben, vielleicht sogar miteinander. Dann entsteht das, was wir ein Win-Win-Situation nennen.“
Alyn Ware hat vor über 25 Jahren – also mitten in der heißen Zeit des Kalten Krieges – damit begonnen, bei den ganz Kleinen zu lernen, wie eine friedliche Gesellschaft aussehen kann. Dann trug er diese Erfahrung in die Schulen seines Landes, wo die Friedensarbeit einen festen Platz im Lehrplan bekam. Parallel beteiligte sich der Aktivist am Aufbau von ‚Atomwaffenfreien Zonen’: Was zum Teil selbstironisch damit begann, die eigenen vier Wände für ‚atomwaffenfrei’ zu erklären, fand soviel Rückhalt, dass die Kampagne bald ganz Neuseeland ergriff. Aus den atomwaffenfreien Häusern wurden atomwaffenfreie Straßen, Dörfer, Städte, Landkreise, Regionen, bis schließlich Premierminister David Lange selbst das ganze Land zu einer Friedenszone erklärte und fortan Atom-U-Booten oder nuklearbetrieben Flugzeugträgern die Einfahrt in neuseeländische Häfen verweigerte. Ein Modell, das sich bald schon als kraftvolle Bewegung der Zivilgesellschaft in allen ozeanischen Staaten im Pazifik ausbreitete.
Und immer wieder, bei seinen noch so unterschiedlichen Aktivitäten, stellte Alyn Ware zur eigenen Verwunderung fest, dass die Regeln aus Kindergarten und Schule fast eins zu eins auch für die Spielplätze der großen Politik gelten: „Da ist es genau das gleiche. Wenn wir mit einem anderen Land im Streit liegen, können wir nicht dessen berechtigte Bedürfnisse ignorieren“, erklärt er: „Im Kindergarten hätte ich den Kleinen nie erlaubt, Gewalt gegeneinander einzusetzen – das ist illegitim. Im großen Maßstab ist das nicht anders: Wir dürfen Menschenrechtsverletzungen und Gewalt nicht zulassen. Stattdessen muss man schauen, was die Länder – zur Zeit gerade Iran und Amerika – eigentlich für Bedürfnisse haben.”
Heute arbeitet der Friedensaktivist eng mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zusammen. Er überzeugt Regierungen in aller Welt, sich mit in die Riege der Atomwaffengegner einzureihen; drängt Rüstungsfirmen, aus dem Geschäft mit Massenvernichtungswaffen auszusteigen und zeigt Abgeordneten in aller Welt, wie sie in ihren Parlamenten ‚erwachsene’ Friedenspolitik einbringen können. Auch hier greift er auf erprobte Werkzeuge zurück: “Wir diskutieren viel miteinander, wir lernen zuhören und die Meinungen anderer zu respektieren. Es geht darum, Dialoge zu führen, statt überzeugen zu wollen. Natürlich muss man auch Wissen vermitteln, aber eigentlich geht es um gleichberechtigte Kommunikation und das Erforschen gemeinsamer Lösungen. Und natürlich um das Erlernen so hilfreicher Werkzeuge wie der Mediation, die immer dem Frieden dient.”
Für alle diese Aktivitäten wird der Neuseeländer nun mit dem ‚Alternativen Nobelpreis’ geehrt, der wohl begehrtesten Auszeichnung für vorbildliche Projekte und Aktivitäten der globalen Zivilgesellschaft.
Manchmal kehrt der viel beschäftigte und rund um die Welt reisende Friedensaktivist Alyn Ware auch dahin zurück, wo alles angefangen hat: in die Kindergärten und Schulen. Kurz nach der Preisverleihung in Stockholm wird er am 8. Dezember in der Integrierten Gesamtschule Bonn-Beuel erwartet, um die Gratulation von Jürgen Nimptsch, Oberbürgermeister der Bundesstadt, entgegen zu nehmen und zwei Schulklassen sein Verständnis von Friedenspädagogik zu demonstrieren.
Diese Veranstaltung dürfte einen ersten Eindruck davon geben, was in gut zehn Monaten in Bonn und Umgebung passieren wird: Zum 30. Jubiläum des ‚Alternativen Nobelpreises’ werden nicht weniger als 100 Preisträger und Preisträgerinnen zu einer Konferenz in Bonn erwartet, die sich vom 14. bis 19. September 2010 wohl mit Fug und Recht die Metropole alternativer Zukunftsentwürfe nennen darf.
Der Auftritt vor Schülern und Schülerinnen in Bonn und auch Alyn Ware’s Besuch der GLS-Bank in Bochum am 7. Januar wird den Krieg nicht abschaffen. Und doch sind seine Aktivitäten in Deutschland ein weiterer Schritt zur Vernetzung der Gutwilligen, für die sich Alyn Ware seit rund 20 Jahren einsetzt. Er ist sich sicher, dass der Traum von einer Welt ohne Atomwaffen wahr werden kann: “Die Menschen begreifen immer mehr, dass wir in einer eng vernetzten Welt leben, in der es keinen Sinn macht, sich bis an die Zähne zu bewaffnen, weil es einen nur isoliert. Atomwaffen haben sich überholt. Wer an Ihnen festhält, klammert sich an Dinosaurier. Sie haben in der modernen Welt nichts mehr zu suchen.“
Geseko v. Lüpke („Zukunftspioniere“)