Unter dem Titel „Dem Elend standhalten“ hatte medico international in Frankfurt am Main am 05. Juni 2015 zu einer Abendveranstaltung eingeladen. Der Saal war wohl vollbesetzt. – Im Wesentlichen ging es um die Situation in Griechenland und die Folgen für die Demokratie in Europa. – Das Stiftungssymposium kreiste in mehreren Vorträgen um grundsätzliche Fragen: Widerstand oder Anpassung? Haben wir es mit einer „Privatisierung der Lebensführungs-Risiken“ zu tun? Ist dies das Ziel einer leoliberalen Politik…die letztendliche Verantwortung für ein gelingendes Leben absolut in die Hände des Einzelnen zu legen, dh der Staat – konkret: die politische Verantwortung der Mandatsträger für das Schaffen dafür geeigneter Rahmenbedingungen – gibt – angesichts der realen Bedingungen der Welt – diese Zielsetzung, weil immer mehr Territorium verlierend, auf? – Außerdem waren die Veranstalter von medico der Ansicht, dass diese Tagung die erste interdisziplinäre Zusammenkunft sei, die sich kritisch mit dem Konzept und Begriff Resilienz auseinandersetzt.
Es lohnt sich auf die Website von medico international zu gehen und die Vorträge des Abends im download-Bereich zu lesen oder die Videos anzuschauen.
Hier herausgreifen möchte ich speziell den Blog-Beitrag von medico Geschäftsführer Thomas Gebauer: Das Paradox der Resilienz.
Seine These: das aktuelle Konzept der Resilienz als Allheilmittel und Wunderwaffe zur Krisenbewältigung stabilisiert genau jene Verhältnisse, die Krisen hervorrufen.
Meine Antwort: Es kommt immer auf die Haltung an. ( Wie heißt es doch: an ihren Taten werdet ihr sie erkennen…)
Wenn der Krisen-Rythmus sich beschleunigt – aufgrund global höchst dynamischer Interdependenzen – und Regierungen nicht mehr in der Lage wären oder sind, Vorkehrungen – das heißt politische Lösungen – für ihre BürgerInnen zu schaffen, bleibt denen nichts anderes übrig als resilienter zu werden. ( Die Lage in Griechenland dürfte – aus der Sicht der Menschen dort – wohl als anschauliches Beispiel konkret genug sein, um über alle Facetten gegenwärtiger und zuküftiger Resilienz nachzudenken!)
Dem Begriff der Resilienz würde das normative Konzept „durch aktive Gestaltung der Verhältnisse menschenwürdigere Lebensumstände zu schaffen und Gefahren zu minimieren“ fehlen. Also implizite Wertvorstellungen als politischer Auftrag – diesen Fokus hat nach Thomas Gebauer das Selbstverständnis und die Praxis von Resilienz nicht. Diese Aussage zielt wohl auch etwas in Richtung Trendforscher Matthias Horx, der Nachhaltigkeit als Harmonie-Illusion verunglimpft und sowieso in den nächsten Jahren vom Begriff der Resilienz abgelöst würde.
Frage: wieso sollte ein Resilienz-Konzept per se hilflos gegenüber gewaltsam ausbeuterischen, kapitalistischen zerstörerischen Verhältnissen sein?
Mir geht es hier doch nicht um haarspalterische Begriffsdefinitionen. Es ist doch völlig egal, welches Thema wir uns vornehmen, es kommt beim TUN immer auf die Haltung an. Wie heißt es so wunderbar im kleinen Prinzen: man sieht nur mit dem Herzen gut. Wenn Menschen an Konzepten basteln, deren Mitgefühl mit anderen Menschen gegen Null geht, kommt – von oben betrachtet – mittel- und langfristig nur ignoranter Mist dabei raus, da es wohl überwiegend nur um eigene Interessen und Bedürfnisse geht. ( Daher ist Empathielosigkeit die perfekte Impulskontrolle und die ideale Voraussetzung für Alle, die an der totalen Ökonomisierung von Systemen und Menschen arbeiten.)
Die psychosoziale Traumaforschung hat eine eigene, wertschätzende und resourcenorientierte Sicht auf Resilienz erarbeitet, die besonders in den Ergebnissen von Pauline Boss und Luise Reddeman ( um nur zwei zu nennen…) deutlich wird. „Resilienz ist nicht immer wünschenswert – vor allem dann nicht, wenn es immer dieselben Menschen sind, von denen Flexibilität erwartet wird“ – schreibt Pauline Boss in Verlust, Trauma und Resilienz. Wer wird denn jetzt noch sagen, dass Resilienz nicht politisch sei? – Der Flexible Mensch von Richard Sennett läßt grüßen.
Echte Resilienz ist viel mehr als stoisches Durchhalten und endloses Anpassen. Aus dem Scheitern oder dem Nicht-Gelungenen zu lernen, ist bestimmt keine deutsche Tugend, besonders wenn der Start ins Leben bereits unter keinem guten Stern stand. Aber daraus abzuleiten, dass es überhaupt nicht gelingen kann, ist definitiv widerlegt und nichts als ein Vorurteil. Gedeihen – nicht nur trotz sondern gerade wegen widriger Umstände ist möglich und würde noch besser gelingen, wenn mehr Menschen Achtsamkeit für andere praktizieren würden. Da ist nach oben in unserem Land noch viel Luft und Raum.-
Seit ungefähr 10 Jahren gibt es in Deutschland aktive Kriegskinder und Kriegsenkelgruppen, in denen die familiären Kriegsbelastungen als Erbe transparent werden. Es wird in den Erkenntnissen überdeutlich, was schon im Sinn bei C.G.Jung geschrieben steht: ohne Wesensverankerung des Menschen keine Resilienz.
Soll die Politik mir sagen, wer ich bin und was meine Aufgabe im Leben ist??? Ich erwarte von „der Politik“, dass sie die Grundlagen dafür legt, dass Menschen Zugang zu einer Bildung haben, die sie darin unterstützt, diese Fragen für sich herauszufinden. Gesellschaftliche Resilienz würde also auch bedeuten, dass sich selbst bewusste Menschen Mehrheiten bilden, die dafür sorgen, dass es auch für viele andere so werden kann. – Der Dalai Lama nennt diese Haltung in seiner Forderung nach einer globalen säkularen Ethik den „Geist des einander Dienens„.
Wie sagte eine Auschwitz-Überlebende:
…Viele Menschen haben Schmerz und Zorn in sich, aber damit überlebt man nicht. Man muss vergeben können. Vergebung ist ein Akt der Selbstbefreiung.
Und mit Sicherheit aktiver Bestandteil eines resilient politischen Lebens und ein Beitrag zum Frieden in der Welt.